Im Rahmen des Modellvorhabens „Budget für Arbeit“ in Bremen möchten wir interessierten Arbeitgebern die Möglichkeit geben, die Erkenntnisse anderer Arbeitgeber mit dem „Budget für Arbeit“ und der damit einhergehenden Beschäftigung von Menschen mit Handicap zu erfahren. Zu diesem Zweck führen wir Interviews mit Betrieben durch, die bereits Erfahrungen zum Thema sammeln konnten.
Interview mit dem Geschäftsführer der Game World Computerspiele-Vertriebs GmbH vom 11.05.2022
Sebastian Rabe (Beratungsfachkraft BfA): Guten Tag, ich bin zu Gast bei Game World und mir gegenüber sitzt mein heutiger Gesprächspartner Herr Kattillus. Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Michael Kattillus (Geschäftsführer Game World): Guten Tag, mein Name ist Michael Kattillus und ich bin Geschäftsführer der Game World Computerspiele-Vertriebs GmbH. Unsere Firma gibt es inzwischen seit 1993, wir sind die ganze Zeit schon in Bremen ansässig und haben inzwischen 15 Mitarbeiter, unter anderem eben auch einen Mitarbeiter mit Handicap.
Können Sie uns einen kurzen Einblick in die betrieblichen Abläufe geben? Welche Aufgaben fallen hier täglich an und welche Fähigkeiten sollten Ihre Mitarbeiter bestenfalls mitbringen?
Es gibt natürlich viele verschiedene Aufgaben, aber dadurch, dass wir im e-commerce tätig sind, sind die meisten Aufgaben digitalisiert. Somit haben wir eine beschränkte Anzahl an manueller Arbeit, die wir dafür aber in einem großen Maße haben. Wir kaufen zum Beispiel gebrauchtes Spielzeug oder gebrauchte Medien an und diese gebrauchten Produkte bedürfen einer besonderen Kontrolle. Das ist einer der Abläufe, der hier sehr viel Zeit beansprucht. Dann verschicken wir natürlich auch Ware, dazu muss eingelagert werden, es muss kommissioniert, eingepackt und dann zum Teil erneut geprüft werden. Diverse andere Lagertätigkeiten sind noch zu erledigen und das sind im Hauptsächlichen unsere täglichen Aufgaben.
Sie haben im März 2020 einen Mitarbeiter mit Handicap mit Hilfe des Budgets für Arbeit unbefristet eingestellt. Dieser Mitarbeiter gelangte über ein Langzeitpraktikum in Ihren Betrieb. Können Sie bitte schildern, welche Gedanken oder eventuell auch Befürchtungen Sie zu Beginn des Praktikum hatten, als Sie diesen Mitarbeiter noch nicht kannten?
Ja gut, als ich ihn noch nicht kannte, da muss ich schon sagen, dass da immer ein dunkler Nebel ist… Man weiß nicht, was für einen Menschen man da als Praktikanten bekommt. Nun sind wir bei uns in der Firma schon immer so eingestellt gewesen, dass wir jedem Menschen gern eine Chance geben. Das haben wir auch in diesem Fall getan, aber man hat natürlich seine Vorbehalte und weiß nicht, ob derjenige die gestellten Aufgaben einerseits erfüllen kann oder andererseits zusätzlichen Betreuungsbedarf benötigt, wodurch die internen betrieblichen Abläufe gegebenenfalls gestört werden.
Welche Gedanken haben sich im Praktikumsverlauf bewahrheitet und welche konnten widerlegt werden? Wie hat sich der Praktikant während des Praktikums entwickelt?
Also grundsätzlich ist es schon so, dass jemand, der hier mit Handicap ankommt, einen gewissen Betreuungsbedarf von den internen Mitarbeitern braucht. Dabei ist es ganz wichtig, dass wir versuchen, immer jeden neuen Praktikanten mit offen Armen zu empfangen und ich bin sehr froh darüber, dass das in unserer Unternehmenskultur so verankert ist. Wenn ein solches Klima nicht in der Firma vorherrscht, dann wird es für jeden Praktikanten sehr schwer. Wenn man sich in einer Gruppe angenommen fühlt, dann wird alles sehr viel einfacher und das gilt für jeden Praktikanten, ob mit oder ohne Handicap.
Durchaus bewahrheitet hat es sich, dass der Praktikant am Anfang ein wenig mehr Mithilfe benötigt hat, allerdings muss ich auch sagen, dass sich der Praktikant sehr schnell positiv entwickeln konnte. Dieser Praktikant hat eine Steilkurve nach oben hingelegt und grundsätzlich konnte ich bei allen Erfahrungen mit Menschen mit Handicap in unserem Betrieb eine sehr hohe Eigenmotivation feststellen, die Arbeit so gut wie nur möglich zu machen. Ich habe das Gefühl, dass kaum ein Mitarbeiter so perfektionistisch ist wie dieser Praktikant bzw. jetzt Mitarbeiter.
Hatten Sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht Bedenken, den Praktikanten mit Handicap nach dem Langzeitpraktikum im Betrieb als festen Mitarbeiter zu übernehmen?
Ja natürlich… also man muss schon dazu sagen, dass die Arbeitsleistungen dieses Mitarbeiters nicht zu 100 Prozent den Arbeitsleistungen eines Mitarbeiters entsprechen, der kein Handicap hat. Das ist einfach so, diese Tatsache ist gegeben. Deswegen ist es auch so wichtig, dass man unterstützt wird. Die Chance demjenigen mit Handicap zu geben, finde ich absolut richtig, allerdings darf dies nicht auf Kosten der betrieblichen Wirtschaftlichkeit geschehen. Und solange eine Unterstützungsmöglichkeit angeboten wird, die uns aus dem betrieblichen Risiko zu einem gewissen Maße herausnimmt, ist das eben machbar. Dann passt das wiederum. Deswegen war ich in diesem Fall auch gern dazu bereit, diesen Mitarbeiter zu übernehmen… und auch gern langfristig.
Welche Rolle spielte das Budget für Arbeit im Endeffekt bei der Entscheidung, den Menschen mit Handicap langfristig zu beschäftigen?
Eine entscheidende Rolle natürlich. Ohne das Budget für Arbeit hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut, das so zu machen, denn man muss sich ja schon bewusst darüber sein, dass man eine Verantwortung gegenüber eines Mitarbeiters hat und man muss sich bewusst darüber sein, dass es bei einem Mitarbeiter mit Handicap vielleicht nicht immer so rund läuft, wie man es sich erhofft. War bei diesem Mitarbeiter nicht der Fall, da lief wirklich bisher alles wunderbar, aber das Risiko ist im Kopf natürlich irgendwie immer ein bisschen mit dabei. Und dieses Budget für Arbeit hat da sehr geholfen, um mir dieses gedankliche Risiko im Kopf zu nehmen.
Wie sehen Sie Ihre Entscheidung der Übernahme des Mitarbeiters mit Handicap nach gut zweijähriger Beschäftigung?
Absolut richtig, war absolut die richtige Entscheidung und ich würde es bei diesem Mitarbeiter ohne zu Zögern direkt wieder tun.
Man muss eben vielleicht auch mal ein paar Wege gehen, die man sonst nicht gegangen ist und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man da ganz hervorragende Mitarbeiter entdecken kann, die man wahrscheinlich auf die übliche Art und Weise niemals gefunden hätte.
Abschließend noch die Frage, ob sich Ihre Meinung zu Menschen mit Handicap durch die Erfahrung mit diesem Mitarbeiter verändert hat?
Ich war eigentlich schon vorher der Meinung, dass die Menschen mit Handicap integriert werden müssen, ob bei der Arbeit oder in der Schule oder wo auch immer. Einer meiner Söhne war in einer Klasse mit Menschen mit Handicap und unter anderem deswegen hatte ich keine große Distanz bei diesem Thema.
Ich glaube aber, wenn ich vorher anderer Meinung gewesen wäre, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich überzeugt davon, dass sich ein Versuch lohnen kann (lacht).